Heute wurden wir wieder von 3:00 bis 6:00 Uhr morgens lautstark beschallt. Die vermeintliche Ruhe hat also nicht mal eine Woche angehalten. Am 14.03.2023 soll hier auf dem Hof ein Fest stattfinden und man fragte uns, ob wir noch so lange bleiben könnten, da man uns gerne dabei hätte. Für uns bedeutet das allerdings noch eine Woche nächtliche Folter, denn nicht anderes sind diese Indoktrinierungen durch die laut schallenden Lautsprecher. Ich weiß nicht, welche Glaubensrichtung dafür verantwortlich ist, aber das hat nichts mehr mit Glauben oder Religion zu tun. Selbst als gläubiger Mensch muss man schon fanatisch sein, um das gut zu heißen.
Wir fühlen uns wie gerädert. Während Patricia versucht wenigstens noch eine Stunde Schlaf zu erhaschen, stehe ich um 6:30 Uhr auf und begebe ich mich unter die Dusche. Danach setze ich mich auf die Terrasse um die letzten Minuten des Sonnenaufgangs zu genießen und schreibe an meinem Blog. Noch ist alles ruhig und der Sonnenaufgang strahl in all seinen Farbtönen und Nuancen, um mich die Nacht vergessen zu lassen. Eine kleine Entschädigung, die aber meine Ringe unter den Augen nicht verschwinden lassen wird. Um 7:30 erwacht das Leben auf dem Hof und die Kinder schnattern mit den Gänsen, Enten und Vögeln um die Wette. Danach kehrt wieder Ruhe ein und ich genieße meinen ersten Kaffee am Morgen.
Eigentlich war um 10:00 Uhr ein Ausflug an die pakistanische Grenze geplant, der sich dann aber doch noch verzögerte. Die Kinder wurden neu eingekleidet und hatten alle ihre neuen Sachen an. Ich fühlte mich damit innerlich verpflichtet auch meine neuen Sachen anzuziehen und erntete vor allem bei den Frauen wohlwollende Blicke. Um 13:00 Uhr zur prallen Mittagshitze ging es dann los. Vor der Abfahrt bekam jeder noch eine Banane und dann wurden wir auf zwei Fahrzeuge verteilt. Die älteren Kinder fuhren auf dem Pickup und die Jüngsten mit uns in einem extra bestellten Kombi. Wir hatten ursprünglich gedacht, dass es irgendwo an den Grenzfluss ginge und hatten uns über die schick Kleidung der Kinder gewundert.
Es ging tatsächlich an die pakistanische Grenze; vor rund drei Jahren wurde ein neuer Grenzübergang für die Sikh-Pilger gebaut. Der Kartarpur-Korridor ist ein im Bau befindlicher Grenzkorridor zwischen den Nachbarstaaten Indien und Pakistan, der die Sikh-Schreine von Dera Baba Nanak Sahib (in Punjab, Indien) und Gurdwara Darbar Sahib Kartarpur (in Punjab, Pakistan) verbindet. Der Korridor soll es religiösen Anhängern aus Indien ermöglichen, die Gurdwara in Kartarpur, 4,7 Kilometer von der pakistanisch-indischen Grenze entfernt, ohne Visum zu besuchen. Bisher mussten Pilger aus Indien einen Bus nach Lahore nehmen, um nach Kartarpur zu gelangen, was eine 125 km lange Reise ist, obwohl Menschen auf der indischen Seite der Grenze Gurdwara Darbar Sahib Kartarpur auf der pakistanischen Seite physisch sehen können. Auf der indischen Seite wurde auch eine erhöhte Plattform dafür gebaut, wo die Menschen mit Ferngläsern eine gute Sicht haben. Im August 2019 einigten sich Indien und Pakistan darauf, indischen Staatsbürgern die visumfreie Einreise nach Kartarpur zu ermöglichen.
Auf der indischen Seite ist ein flughafenähnlicher Prachtbau mit allen dazugehörigen Sicherheitsschleusen errichtet worden, den wir mit den Kindern besuchen durften. Die Kinder wurden von den Grenzbeamtinnen sofort in ihr Herz geschlossen und bei einigen rannen die Tränen. Wer weiß wie lange die Frauen von ihren Familien getrennt sind; unter umständen sehen sie ihre Kinder nur ein- bis zweimal im Jahr … Als Kinder einer geteilten Stadt sind wir ganz andere Grenzübergänge gewohnt. Wir hatte unsere Reisepässe nicht dabei und marschierten munter auf die Pakistanische Grenze zu. Einen Steinwurf davon entfernt konnten wir zusehen, wie beide Seiten Grenzprotokolle abzeichneten. Es gibt zwei Grenztore und bei einem Grenztor war mitten auf die Grenze ein Tisch gestellt worden, auf dem die zu unterzeichnenden Papiere lagen. Auf der Pakistanischen Seite standen zwei ranghohe Offiziere am Tisch und auf der indischen Seite auch zwei. Beim anderen Tor standen sich zwei Soldaten mit ihren Fahnen gegenüber: die blauer Fahne für Pakistan und die orangener Fahne für Indien. Direkt hinter den Fahnenträgern stand jeweils noch ein mit Maschinengewehr bewaffneter Soldat. Das ganze dauerte nicht einmal fünf Minuten, dann wurde alles wieder bei Seite geschafft.
Die Brücke über den Grenzfluss ist noch in Bau; auf der Indischen Seite ist sie schon fertig und auf der pakistanischen Seite sind gerade erst die Stützpfeiler gesetzt. Wir konnten auf der indische Seite bis fast zum Ende gehen (aus Sicherheitsgründen war 10 Meter vor der Kante Schluss). es gab kein Fotografierverbot, wir durften überall fotografieren (auch in den Sicherheitsbereichen) und auch die Grenzbeamten machten mit ihren Smartphones fleißig Fotos von uns. Obwohl alles völlig entspannt war, fühlten wir uns etwas unwohl und haben uns nicht getraut, im Sicherheitsbereich Fotos zu machen, sondern haben uns überwiegend auf die offiziellen Gruppen- und Personenfotos beschränkt.
Besonders für die kleinen Kinder war es langweilig. Für uns war das natürlich spannend und interessant.
Nach der Grenzbesichtigung ging es wieder zur kostenlosen Speisung in den nahegelegenen Tempel.
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