Eigentlich wollten wir heute auf eine indische Hochzeitsfeier gehen, aber Patricias Körper spielt nicht mit. Die Festungsanlage war gestern wohl doch etwas zu viel für sie, denn sie hat wieder starke Schmerzen in Hüfte und Knie. Sie pumpt sich so schon mit Schmerzmittel voll und unter Schmerzen an einer Hochzeitsfeier teilzunehmen macht da kein Sinn. Wir sind noch zwei Wochen unterwegs, in sofern lieber etwas kürzer treten.
Am Vormittag hatten wir uns deshalb auch nur den Jaswant Thada genannte Memorialbau für den im Jahr 1895 verstorbenen Maharadscha Jaswant Singh II. angesehen. Es ist ein repräsentativer Bau aus weißem Marmor im Indo-Islamischen Stil.
Anschließend saßen wir bei einem erfrischendem Kombucha-Getränk im Café am Stufenbrunnen und haben den Jungs zugesehen, wie sie ins Wasser vom Stufenbrunnen gesprungen sind.
Da Patricia heute nicht so viel unternehmen konnte, sind wir zum „Clocktower“ gegangen. Der Uhrenturm ist ganz nett, aber viel interessanter sind der Markt und die angrenzenden Gassen.
In einigen dieser Gassen wurde Beleuchtung installiert: Leuchtstoffröhren wurden quer über der Strasse aufgehängt, ab und zu hing auch ein Kronleuchter da und die dicken, fetten Lautsprecher säumten den Weg. Bei einem Haus saßen Frauen in Festkleidung und wir fragten neugierig, ob hier eine Hochzeit stattfindet.
Die Frauen hatten an den Händen wundervolle Mehendi (Henna-Tatoos). Als ich die Hände sah, musst ich die Frau einfach Fragen, ob ich Fotos machen darf.
Da ich den kleinen Smartphone-Drucker bei mir hatte, habe ich ihnen auch ein nettes Foto von sich ausgedruckt. Wie immer war die Begeisterung groß, da die Leute hier nur ihre Fotos auf dem Smartphone haben. Papierfotos sind hier in Indien extrem selten.
Wie sich herausstellte, fand keine Hochzeit statt. Die Frauen hatten sich zu Ehren Shivas so festlich angezogen und auch die Straßen wurden deswegen geschmückt. Um 22:00 Uhr sollten wir noch mal herkommen, dann würde das Fest in den Straßen beginnen. Ein paar Häuser weiter wurde eine fast lebensgroße Figur von Gavar, der Gemahlin von Shiva, geschmückt.
Um 22:00 Uhr bin ich dann noch mal alleine mit meiner Kamera losgezogen. Die Gassen waren brechend voll und vor den geschmückten Gavar-Figuren drängte es sich, da jeder den Segen und eine Handvoll Kräuter vom „Tempelhüter“ haben wollte. Außerdem musste natürlich noch ein Selfie gemacht werden. Die Lautsprecher an den Wegen dröhnten so laut, dass man sie eigentlich auch in Deutschland gehört haben müsste. Abseits der Gavar-Figuren standen die Frauen mit Stöcken bewaffnet in den Gassen und warteten auf vorbeigehende Männer. Ging ein Mann vorbei, wurde er mit den Stöcken geschlagen. Vor allem die jungen Mädels, um die 16 Jahre, prügelten auf die Jungs ein. Wenn ich das richtig verstanden haben besagt der Brauch, dass wenn die Frau einen jungen Mann schlägt, soll sie bald einen hübschen, jungen Mann heiraten. Aber auch die älteren Damen schlugen die Männer mit einem Stöckchen; sie schlugen aber nicht so stark zu wie die jungen Mädels. Hatte ich anfangs noch den Touristen Bonus, wurde ich dann bald auch richtig geschlagen. Die dicken Kanthölzer tun richtig weh, weshalb es mich auch nicht wunderte, dass die Männer, wie eine zusammengetriebene Schafsherde, zur Seite springen. Den Frauen machte es sichtlich Spass. Nachdem ich mir meine Prügel abgeholt hatte, bin Ich zurück ins Hotel. Morgen darf Patricia meine blauen Flecken zählen …
Recherche - Hintergrund zum Fest:
Dhinga Gavar ist ein Fest, das nur in Jodhpur im westlichen Rajasthan in Indien gefeiert wird. „Dhinga“ bedeutet wörtlich „Spaß durch Täuschung“; Gavar, auch bekannt als Gangaur, ist die Gemahlin von Shiva. Dhinga Gavar ist eine Volksgottheit, die humorvolle Seite von Shivas Gemahlin Gangaur. Der Legende nach neckte Shiva einmal seine Gemahlin Parvati, indem er sich als Schuster verkleidete. Als Vergeltung erschien Parvati auch als Bhil-Stammesfrau vor Shiva, um ihn zu ärgern und Spaß daran zu haben.
Das Fest von Dhinga Gavar beginnt nach Sonnenuntergang, wenn die Statuen von Dhinga Gavar an 11 wichtigen Orten der alten Stadt Jodhpur aufgestellt werden. Jede Statue ist in typischer Rajasthan-Tracht mit Goldschmuck von 5 kg bis 30 kg geschmückt. Die Opfergaben für Dhinga Gavar bestehen aus Cannabis und Trockenfruchtpulver und sind als "Moi" bekannt.
Die Mädchen und Frauen mit Stöcken in ihren Händen beherrschen in dieser Nacht praktisch die Straße. Die Frauen patrouillieren die ganze Nacht durch die engen Gassen der Stadt Jodhpur und beschützen die Statue von Dhinga Gavar. Es ist ein weit verbreiteter Glaube, dass jeder unverheiratete Mann, der in die Nähe dieser Frauen kommt und von dem Stock getroffen wird, bald mit einem geeigneten Mädchen verheiratet wird. Der Stock wird auf Hindi Baint genannt, daher ist dieses Festival auch als Baintmar Teej bekannt. Obwohl genug Polizei eingesetzt wird, ist nur wenig Eingreifen erforderlich, und die Menge findet ihr eigenes Gleichgewicht. Jungen, um einen "Glückstreffer" zu erzielen, gehen in die Nähe von Mädchen und necken sie manchmal, damit sie von dekorierten Stöcken verprügelt werden.
Dies ist das einzige Festival, das allen Arten von Frauen gleiche Rechte einräumt. An diesem Fest können auch Witwen teilnehmen.
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